Der Kampf mit der Überarbeitung
Endlich hast du es geschafft – dein Roman ist fertig. Zumindest fast. Doch jetzt steht die Überarbeitung an. Und das ist leider alles andere als einfach. Autorin Julei Brenz erzählt von ihrer Verzweiflung, ihren Einsichten und gibt viele praktische Tipps.
Ich bin eine Exorzistin.
So fühle ich mich seit Wochen.
Die Dämonen? Sind in meinem Roman!
Ich bin eine Strahlerin. Die Kristalle? In meinem Text.
Ich bin eine Mörderin. Die Toten? Die Darlings aus meinem Text!
Ich bin außerdem bei der ungarischen Post und meine Pferde sind Drachenwesen: unbändig und willensstark.
Da die Überarbeitung eines Romans ein viel größeres Thema ist, als es mir je bewusst war, sollte doch endlich mal jemand darüber etwas schreiben! Und weil dieser Jemand ja auch ich sein kann: Et voilà!
Der Kampf durch einen Dschungel an liebgewonnen Figuren
Wenn man hier bei uns den Spieleschrank öffnet, fallen einem etwa 16 verschiedene Puzzleboxen entgegen. Große Teile für kleine Kinder, kleine Teile für größere Kinder. Viele Puzzle sind unvollständig, manche enthalten Puzzleteile aus anderen Puzzeln und dann gibt es noch die, die vollkommen vermischt sind. So ähnlich kann sich auch die erste Überarbeitung anfühlen. Nur, dass du nicht in aller Ruhe dasitzt und sortierst. Es ist eher der Kampf durch einen Dschungel an liebgewonnen Figuren, Dialogen, Situationen und immer wieder die gleichen Löcher, in die du reinfällst. Und zwar so gnadenlos, das kann dir beim Puzzlen nie passieren. Du heulst und beißt in die Tischplatte und dann würdest du am liebsten dein ganzes Projekt im Hof draußen anzünden und schreiend drumherum tanzen.
Was hilft bei der Überarbeitung?
1. Die Aussicht auf Licht nach dem Tunnel
Sprich: ein neues Projekt. Denn es kann gut sein, dass du ansonsten anfängst, immer im Kreis zu gehen, weil du gar nicht aus dem Wald herausfinden willst. Im Geheimen hältst du nämlich an dem Roman fest, weil er dir so ans Herz gewachsen ist. Das ist mir jedenfalls passiert. Erst, als ich mir erlaubt habe, einen Blick auf ‚hinter das Gestrüpp‘ zu werfen, wurde mir klar, dass ich bis ans Ende meiner Tage in diesem stecken werde, wenn ich nicht hinauswill.
2. Pausen beim Überarbeiten
Echt. Klar bekommt der ungarische Reiter auch Muskeln und ein bisschen darf er ja auch über seine Grenzen gehen, aber wenn es ihn von den Pferden haut, dann wird er wahrscheinlich ertrinken oder vom bösen Morlock gefressen. Also lieber auch Pausen einplanen! Wäsche aufhängen, mit dem Hund gehen, Canasta mit den Kindern spielen. Nur ganz sicher nicht Puzzeln 🙂
3. Einen Szenenplan erstellen
In dem du alles festhältst was da ist! Jedes Kapitel deines Romans! Und rot einträgst, was du hinzufügen oder ändern musst. Wenn du das nämlich nicht sofort machst, kann es sein, du verhedderst dich in irgendwelchen klebrigen Ranken und kommst nicht mehr frei. Dir fallen tausend neue Dinge ein und du bleibst nicht bei der Sache. Plötzlich schwimmt dein Charakter mit Delphinen, anstatt in der Wüste zu darben, was der eigentliche Plan war.
4. Deine Planung der Heldenreise
Was ist überhaupt nötig, um die Geschichte zu erzählen? Versprochen: irgendwann weißt du es nicht mehr. Alles scheint wahnsinnig unglaublich wichtig – oder totaler Scheiß, wer hat denn sowas geschrieben?
Also ziehe immer wieder deine Heldenreise zu Rate! Wo hast du dich vielleicht verrannt? Was ist das wirkliche Thema? Welche Szene kann weg?
5. Die Aussicht auf TestleserInnen
Genau bei der Frage ‚Ist das Kunst oder kann das weg?‘ ist es sehr wichtig, auch den Testlesern etwas übrig zu lassen. Anstatt wie ein automatischer Vollernter alles plattzuwalzen, dabei den Waldboden zu ruinieren und die Kleinstlebewesen umzubringen, lass einfach auch mal eine Frage für die Testleser deines Romans: die können doch auch entscheiden, ob Ben zu viel ist oder ob der noch *ne eigene Geschichte braucht. Sie helfen dir bei der Überarbeitung. Das tun sie gerne. Und so musst du nicht fürchten, sie könnten dich an einer Stelle treffen, die dir nicht bewusst war: es ist dir ja bewusst, dass du nicht weißt, was du mit Ben machen sollst. Also lass doch einfach mal stehen.
6. Die Bereitschaft zum Meuchelmord
Ja, auch Lieblinge müssen Sterben. Und wenn das gar nicht geht, wenn du es einfach nicht übers Herz kriegst: Also wegen dem Wolf habe ich mich immer wieder im Wald verlaufen (oh, diese Story gibt’s ja auch schon!) – also ist der Wolf vielleicht falsch für diesen Roman. Aber ich will diesen Wolf nicht hergeben, ich mag ihn! Also bekommt er ein gemütliches Plätzchen in meinem Herzen und wartet auf ein weiteres Projekt.
7. Die ***File
Ehrlich gesagt ist die geklaut von Jacky Vellguth: ein Papier, auf dem alles steht, was bei der Überarbeitung unbedingt noch in den Roman reinmuss oder rausmuss. Das kannst du später einfach abarbeiten und hast das Gefühl, fertig zu werden.
8. Übergib dem inneren Kritiker nicht die Zügel, er ist dein Diener!
Wenn du denkst, das Überarbeiten eines Romans ist Sache des inneren Kritikers, dann kürzt er dir unter Umständen dein Buch innerhalb eines halben Tages weg. Er sollte nicht mehr als ein Berater sein. Du entscheidest: Echt!
9. Du stehst dir selbst gegenüber
Während du beim Schreibprozess in einen Flow kommst, auch mal kämpfst oder stockst und dich mit den Problemen in deinem Roman verbindest, wirst du für die Überarbeitung erstmal rausgeschmissen und stehst deinem Werk gegenüber. Und dein Werk, das bist du. Mindestens ein Teil von dir. Und plötzlich musst du dir selbst ins Gesicht sehen und sagen: ja, du bist okay. Du hast eine Existenzberechtigung! Teile von dir werden andere Menschen lieben!
Wichtig ist: Gib nicht auf!
Es ist vielleicht schwerer, als das Schreiben selbst und es ist eine ganz eigene Disziplin. Fürs Schreiben gibt’s so viele Tipps und Kurse. Über das Überarbeiten spricht kaum jemand. Wenn man einem Nicht-Autor erzählt, das Überarbeiten dauert genauso lang wie das Schreiben, dann starrt er einen an, als wäre man nicht ganz normal.
Ich bin mir sicher, man bekommt dabei Übung, genau wie beim Schreiben. Nur geht es darum, ganz andere ‚Muskeln‘ zu trainieren. Man braucht ganz andere Fähigkeiten. Also glaube nicht, diese Arbeit könnte eine Lektorin, ein Lektor machen. Die ist später dafür zuständig, blinde Flecken zu finden, die du einfach nicht sehen konntest. Und vor allem ist sie dafür da, einen zweiten Blick auf dein Werk zu werfen, der nicht dein eigener ist. Aber sie kann deinen Text nicht authentisch überarbeiten und nicht deinen eigenen Kristall hervorschleifen, das kannst du nur selbst!
Ich wünsche dir viel Kraft, Überblick und Durchhaltevermögen
Du bist okay! Leserinnen und Leser werden deinen Roman lieben!
Autorin Julei Brenz und ihre Romane
Julei Brenz wurde von mir auf ihrem Schreibweg begleitet und schreibt romantische Fantasy, Geschichten die im Hier und Jetzt spielen und mit einer Prise Magie und Übersinnlichem gewürzt sind.
Romane von ‚ganz normalen‘ Heldinnen, wie Emma Hahnenfuß, deren Tochter sich einer gefährlichen Jugendgruppe angeschlossen hat. Emma muss über sich hinauswachsen, klettern lernen und einen Krieg verhindern.
Das Schreiben ist für Julei eine Freude. Wenn nur das Überarbeiten nicht wäre! Doch nun hat sie auch dabei ihren Weg gefunden und schickt ihre wundervollen Romane nun hinaus in die Welt!
Julei Brenz – hier kannst du mehr über Julei und ihre wundervollen Bücher erfahren.